Terrorismus in der Moderne. Der Aufstieg des Islamischen Staates (Beitrag in der ZfG)

Krieg in Syrien (c) Karl Oss Von Eeja auf Pixabay

Der Beitrag „Janusgesicht der Gewalt: Der „Islamische Staat“ zwischen revolutionärer Bewegung und Staatswesen“ von Müller-Rensch nimmt dem Erfolg des selbsterklärten „Islamischen Staates“ seine Zufälligkeit. Im komplexen Wechselspiel der akteurseigenen Handlungsmacht und den Verschiebungen politischer, ökonomischer und sozialer Gelegenheitsstrukturen zeichnet sie den Aufstieg der jihadistisch-salafistischen Gruppe als ihr Vermögen zur richtigen Zeit am richtigen Ort die sich öffnenden Gelegenheitsfenster für die eigenen Sache zu nutzen.

„Terrorismus ist einer der umstrittensten Begriffe in der Öffentlichkeit und auch in der Forschung umstritten geblieben.“ (Bauerkämper, Terrorismus in der Moderne 2024, S.887)
Nicht zuletzt die tödlichen Messerattacken von Mannheim und Solingen im Sommer dieses Jahres rücken uns allen die weiterhin bestehende Gefahr islamistisch motivierter, terroristischer Anschläge in unserem Lebensalltag ins Bewusstsein. Terrorismus in seiner scheinbaren Willkür ist hier auch Kommunikationsstrategie. Als solche soll die terroristische Tat vorallem „Unsicherheit und Schrecken verbreiten, daneben aber auch Sympathie und Unterstützungsbereitschaft erzeugen.“ (Waldmann, Peter (1998). Terrorismus. Provokation der Macht, München, S.12). In diesen von den Täterinnen und Tätern erhofften Effekten, der difussen Angst, der durch diese provozierten, pauschalen Abwehrhaltung gegen Zugewanderte und der resultierenden gesellschaftlichen Polarisierung liegt die eigentliche Bedrohung für unsere offene, plurale Geellschaft.

Das „Warum und Wozu“: Relevanz zur Gefahrenabwehr

Rückzugsräume jihadistisch-salafistischer Gruppen – Marib, Jemen(c) Müller-Rensch 2007

Das „Warum und Wozu“ des Terrorismus war jedoch in den letzten Jahrzehnten nur selten Gegenstand sozialwissenschaftlichen Interesses. Das Gros der Forschung zu terroristischer Gewalt auf die Anforderungen aus Sicherheitspolitik und Politikberatung. Mit den konkreten Zielen der Bekämpfung und Prävention entfiel jedoch regelmäßig die Einbettung in den historischen und sozio-politischen Entstehungs- und Unterstützungskontext von Terrorismus. Auf diese Blindstelle und die sich aus ihr ergebenden Gefahren, weisen die „Critical Terrorism Studies“ dezidiert seit der Jahrtausendwende hin. Stimmen dieser Debatte fordern zudem im Kontext terroristischer Gewalt, nicht nur das Handeln staatlicher Akteure, sondern auch die Rolle von Gesellschaft und nicht zuletzt der Forschenden selbst zu hinterfragen.

Das aktuell erschienene Themenheft der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ZfG) „Terrorismus in der Moderne“ erfasst deshalb Terrorismus „als Form politischer Gewalt […], die jeweils aus sozialem und politischem Handeln hervorgegangen, diskursiv konstruiert und medial vermittelt worden ist.“ (Bauerkämper, Terrorismus in der Moderne 2024, S.887)

Janusgesicht der Gewalt: Der „Islamische Staat“ zwischen revolutionärer Bewegung und Staatswesen

Der Beitrag von Müller-Rensch im Sonderheft nimmt durch die historische und ideengeschichtliche Einbettung der Enstehung und des Erfolgs des selbsterklärten „Islamischen Staates“ seine Zufälligkeit. Im komplexen Wechselspiel der akteurseigenen Handlungsmacht und den Verschiebungen politischer, ökonomischer und sozialer Gelegenheitsstrukturen zeichnet sie den Aufstieg der jihadistisch-salafistischen Gruppe als ihr Vermögen, die sich öffnenden Gelegenheitsfenster für die eigenen Sache zu nutzen. Von besonderer Bedeutung sind die so gewonnenen Erkenntnisse für die Bewertung des aktuellen Widererstarkens des Verbands, seiner potenziellen Reterritorialisieurng in der Region Mittelost und der weiterhin akuten und realen Gefahr terroristischer Anschläge in Deutschland und Europa.

„Wie keine andere dschihadistisch-salafistische Gruppe zuvor fordert der sogenannte Islamische Staat (IS) die analytische Dichotomie von Gewaltakteuren zwischen Staat und Nicht-Staat, zwischen Ordnungsmacht und Aufständischen heraus. Gleichzeitig hat sich der Verbund in den letzten beiden Dekaden als besonders resilient, als lern- und überlebensfähig und zumindest dem Anschein nach auch als unberechenbar profiliert.“[1] (Müller-Rensch, 2024, S.938)

ZfG Heft 11 2024 - Terrorismus in der Moderne
ZfG Heft 11 2024 – Terrorismus in der Moderne

Im Beitrag „wird das Gefährdungspotenzial der Gruppe unmittelbar im dualen Charakter zwischen nicht staatlichem und staatlichem Gewaltakteur und der damit verbundenen Verfügungsmacht über die jeweils angebundenen Handlungsrepertoires verortet. Um dies zu verdeutlichen, muss zunächst die Einbettung des dualen Charakters in der religiösen Ideologie herausgearbeitet werden, denn „Daesh“ ist Teil einer historisch gewachsenen, globalen sozialen Bewegung, des dschihadistischen Salafismus.[2] Anschließend zeigt eine kurze Genese des Aufstiegs und Überlebens der Gruppe während der letzten zweieinhalb Jahrzehnte, inwiefern dieser Dualismus ihr Organisations- und Handlungsvermögen zwischen Aufstand und Establishment sukzessive erweiterte und somit die unleugbare Resilienz des IS und der Idee ihres Kalifatprojektes bedingt.“[1] (Müller-Rensch, 2024, S.940)


[1]  Müller-Rensch, Miriam, Janusgesicht der Gewalt: Der „Islamische Staat“ zwischen revolutionärer Bewegung und Staatswesen, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Sonderheft Terrorismus. Politische Gewalt von der Antike bis zur Gegenwart 2024, S. 938-950.

[2]   Miriam Müller-Rensch, On Top of the Revolutionary Game. Uncovering the „Islamic State’s“ Revolutionary Message, in: Ondrej Ditrych/Jakub Zahora/Jan Daniel (Hrsg.), Revolutionaries and Global Politics. War Machines from the Bolsheviks to ISIS, Edinburgh 2023, S. 68–88.