Religion, Ideology, Identity and Violence – Daesh’s Alternative Mode of Governance in Iraq and Syria
Forschungsprojekt 2015 – 2020/2023: Daeshs alternativer Herrschafts-Modus in Irak und Syrien
Das Forschungsprojekt beschäftigt sich kritisch mit Fragen politischer Ordnung im Krieg und der Schaffung nachhaltiger politischer Ordnungen in Postkonflikt-Kontexten am konkreten Fallbeispiel Iraks und Syriens. Das Forschungsdesgin verbindet explizit das Kontextualisierungsgebot der Friedens- und Konfliktforschung mit dem Theorieanspruch der Demokratisierungsforschung.
Der „Islamische Staat“ (Daesh) als staatlicher und nicht-staatlicher Akteur
Mit der fortschreitenden Destabilisierung des Nordirak und der Eskalation des Bürgerkrieges in Syrien gelang es der jihadistisch-salafistischen Gruppierung Daesh (sog. „Islamischer Staat“), aber auch anderen bewaffneten Gruppen, wie beispielsweise der Fattaḥ Al-Shām, über signifikante Zeiträume hinweg Anspruch auf die an Territorialität geknüpften, staatstypischen Gestaltungs- und Ordnungsfunktionen in den von den Gruppen kontrollierten sozio-politischen Gemeinschaften zu erheben. In diesem Prozess ziehen derlei nichtstaatliche Akteure, ob nun lokalen, nationalen und transnationalen Charakters, graduell staatstypische Leistungen aber auch Ansprüche immer dann an sich, wenn diese nicht oder nur unzureichend gewährleistet, bzw. eingefordert werden. Entsprechend des Vermögens dieser Akteure ihre Interessen im konkreten lokalen Kontext durch oder gegen die Akzeptanz der Bevölkerung zu verfolgen und durchzusetzen, können diese dann, zumindest phasenweise, als zum Staat konkurrierender Souverän i.S. von „multiple sovereignties“ auf dem von ihnen kontrollierten Gebiet auftreten. Die Erfahrungen der Zivilbevölkerung mit derlei „alternativen Governance-Modi“ bilden für viele nun mitunter den präsentesten Bezugspunkt für die Bewertung zukünftiger Regierungsangebote. Indviduelle Erfahrung und kollektives Gedächtnis politischer Gemeinschaften sind somit entscheident für Strategien und Instrumente des (Wieder-) Aufbaus legitimer Governance-Regime als Gerüst nachhaltiger Friedensordnungen und somit langfristiger Konfliktprävention.
Forschungsdesign
Das Forschungsdesign stellt die Rolle von Gewalt, Identität, Religion und Ideologie ins Zenrum der Analyse des Institutionalisierungsprozesses des Kalifatsprojekts in Irak und Syrien. Die Gesamtheit der dort im Zeitraum 2013 bis 2017 beobachtbaren Governance-Praktiken wird als alternativer Herrschaftsmodus („alternative mode of governance“) verstanden, wobei die Ergebnisse meiner Forschung einen Beitrag zur kritischen, interdisziplinären Governance-Forschung leisten sollen. Auf der Grundlage einer differenzierten Auseinandersetzung mit klassischen State- und Nation-Building sowie aktuellen Governance-Ansätzen, nimmt das Design die Bereiche Sicherheit (policing & surveillance, Militärgewalt), Recht (Gerichtsbarkeit, Strafrecht und Strafen, Verwaltungsrecht und –verfahren), Bildung und Erziehung (Familie, Schule, Universitäten) und die physische und narrative/virtuelle Integration und Abgrenzung des Gemeinwesens (Grenzregime, Mitgliedschaft, „citizenship“) in den Blick.
Methodischer Zugang und Empirie
Methodischer Zugang zu den Governance-Praktiken Daeshs ist neben der Analyse von Dokumentenfunden und Publikationen der Gruppierung eine ethnologisch-orientierte Situationsanalyse der Berichte von Augenzeugen über Interviews mit Geflüchteten und Opfern in Deutschland, Jordanien und Irak (vor Ort und online), aber auch ehemaliger Mitgliedern der Gruppe „Islamischen Staat“ in deutschen Justizvollzugsanstalten (Forschung derzeit in Niedersachsen und NRW).
Neugierig geworden? Mehr zum Projekt im Blogformat: A Damn Good “State Mimicry” – Exploring Daesh’s Mode of Governance (English blog article)
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