Der Landtagswahlkampf in Thüringen 2024 geht in die heiße Phase. Mona Trebing von ZDF Heute berichtet und fragt mich nach meiner Einschätzung.Hier geht’s zum Beitrag auf ZDF Heute Online: Eine Woche vor der Landtagswahl: Steht Thüringen auf der Kippe?
Wieso scheinen die Menschen untereinander immer weniger gesprächsbereit zu sein?
In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Welt für viele von uns zu einem bedrohlichen Ort geworden. Gefühlt bewegen wir uns von einer Krise in die nächste und von Pandemie, über Krieg bis zu Preisanstiegen werden ständig mit Schreckensmeldungen bombardiert. Als Reaktion auf diese Unsicherheit werden die Menschen grundsätzlich wieder sicherheitsorientierter, aber Angst vor dem sozialen Abstieg auch aggressiver. Entsprechend beobachten wir nicht nur in der Politik, sondern auch in unserem Alltag zunehmend eine soziale Polarisierung – das gilt natürlich nicht nur für Thüringen, sondern die gesamte deutsche Gesellschaft. Wenn wir noch weiter schauen, lässt sich das auch in der U.S.-amerikanischen Gesellschaft und dem Wahlkampf dort beobachten. Polarisierung, das bedeutet, dass der Umgangston rauer wird, in den Parlamenten, an den Stammtischen oder am Abendbrottisch. Im antidemokratischen, hier vor allem dem rechten Spektrum werden Kompromisse, das Kerngeschäft einer funktionierenden Demokratie, dabei als Schwäche gedeutet und die Botschaften immer einfacher. Für viele Menschen vermitteln dabei gerade einfache Antworten auf unsere komplexe Welt, wie sie Populisten geben, Sicherheit und Stabilität.
Welche Rolle spielt die Art der politischen Kommunikation der Parteien dabei, dass die Zivilgesellschaft aufgeheizter scheint?
Die politische Kommunikation gerade zur Wahlkampfzeit hat sich in den letzten Jahren bei nahezu allen Parteien immer weiter von den Inhalten entfernt. Wählerinnen und Wähler sollen weniger rational als affektiv, also auf der Gefühlsebene angesprochen werden. Gleichzeitig wurden und werden im Wahlkampf stärker Fronten aufgemacht und Konkurrenten regelrecht zu Feindbildern stilisiert – was in einer Demokratie schnell hochproblematisch wird. Zum einen dann, wenn mit eben jenen erklärten Erzfeinden eine Koalition gebildet und gemeinsam regiert werden soll. Denn dann werden die gewählten Parteien und Politikerinnen schnell unglaubwürdig. Parallel dazu ziehen sich viele Menschen heute wieder ins Private zurück, scheuen den Schlagabtausch und die offene Konfrontation. Durch die soziale Verinselung in der Pandemie wurde dieser Effekt noch verstärkt, so dass die Lautesten oft – zumindest dem Anschein nach – die Mehrheit stellen.
Zum anderen können und werden derlei Feindbilder oft zu Selbstläufern. Gerade dann wenn diese Polarisierung an Einzelpersonen „aufgehängt“ wird, richten sich Unsicherheiten und der daraus resultierende Hass gegen eben diese Personen – ob nun verbal oder auch mit Gewalt. Dies ist seit einigen Jahren leider das Alltagsgeschäft zahlreicher Personen, die Demokratie und Staat repräsentieren. In den aktuellen Landtagswahlkämpfen gab es zahlreiche Übergriffe, gegen Politikerinnen und Politiker demokratische Parteien, wie gegen den SPD-Politiker Matthias Ecke und die CDU-Politikerin Adeline Abimnwi Awemo in Brandenburg. Der Mord an Walter Lübcke oder das Attentat auf Henriette Reker zeigen dabei ganz deutlich, dass wir derlei Übergriffe und Drohungen, auch wie die gegen Jens-Christian Wagner, den Buchenwald-Gedenkstättenleiter noch immer nicht ernst genug nehmen.
Trifft nun allerdings öffentlicher Protest im Wahlkampf den Auftritt eines Vertreters der extremen Rechten wie Björn Höcke, werden schnell unverhältnismäßige Parallelen gezogen und politischer Gegenwind mit persönlichen Drohungen gleichgesetzt. Das soll und wird Höckes Partei vermutlich Vorteile verschaffen – in dem er die generierte Aufmerksamkeit nutzt und sich selbst als das Opfer von Medienkampagnen und Verschwörungen stilisiert. Der beschriebene Wandel der politischen Kommunikation und Kultur spielt insgesamt vor allem der extremen Rechten und der AfD in die Karten. Denn immer dann, wenn die Demokratie unter Druck gerät durch Krisen oder Krieg, öffnet sich ein Gelegenheitsfenster für antidemokratische Kräfte. Vor allem die extreme Rechte ist derzeit in der Lage, dieses „window of opportunity“ strategisch für sich erfolgreich zu nutzen, um sich in Zeiten der sozialen und politischen Unsicherheit eben als „Alternative“ jenseits des Establishments anzubieten und selbst die Macht zu übernehmen. Das ist ihr während der Landtagswahl 2019 auch schon recht gut gelungen. Doch seit Pandemie und Ukraine-Krieg befinden wir uns noch mehr im Krisenmodus. Anlass und Thema sind für die extreme Rechte dabei zweitrangig. Es braucht eine Situation, in denen die Menschen verunsichert sind, Zukunfts- und Existenzängste haben und es die politischen Eliten es nicht schaffen, die Situation zu erklären und Lösungen nachvollziehbar zu kommunizieren. Diese Menschen werden dann gezielt emotional angesprochen, wie beispielsweise durch das inzwischen verbotene „Compact“-Magazin, aber eben auch in der Debatte im Parlament und im Wahlkampf – immer mit dem Ziel der Deutungshoheit. Wie es der rechte Vordenker Götz Kubitschek zusammengefasst hat, „den Leuten zu erklären, was sie gerade erleben.“
Inzwischen wollen viele Menschen aber nicht mehr nur nachvollziehbare Erklärungen, sondern vor allem konkrete Lösungsangebote, die schnell wirken sollen. Schnell und einfach sind finanzier- und machbare politische Lösungen heute allerdings nie. Wer in der Hitze des Gefechts vor der Wahl derlei Versprechen macht, wird sie nicht halten können. Doch zumindest im Wahlkampf müssen sich einfache Lösungen ja noch nicht an der Wirklichkeit messen lassen.